Morden fürs Vaterland
Eins, zwei, drei – gleich ist der Krieg vorbei! So klang es am Dienstag aus Kabul, wo sich mehr als 70 Staaten zur bisher größten „Afghanistan-Konferenz“ zusammengefunden hatten. Der Krieg, wir erinnern uns, der ohnehin nur ein umgangssprachlicher ist.
Ein neues Zeitalter für Afghanistan hätte nun begonnen, die Gemeinschaft der Befrieder hätte sich geneigt gezeigt, Afghanistans Schicksal in die eigenen Hände zurückzugeben. Beginnend 2011. Abgeschlossen 2014. So jedenfalls die deutsche Massenmedie.
Für das gequälte Land am Hindukusch bedeutet das freilich weitere vier Jahre der Besatzung, Misswirtschaft, Marionettenregierung, zivilen Opfern und Bürgerkrieg, und solche Jahre können lang sein, auch wenn Karzai dies wohl anders sieht und am Dienstag in die zur Schau gestellte Erleichterung einstimmt.
Allen, die da nun aus dieser Verlautbarung voreilige Schlüsse zogen oder vorzeit gar schon den beginnenden Abzug feierten, stellt tags drauf „Die Welt“ unter der Schlagzeile „Ich warne vor Wunschdenken zu Afghanistan – Der deutsche Nato-Kommandeur Egon Ramms hält nichts von Abzugsdaten und kritisiert das deutsche Desinteresse an dem Konflikt“, des deutsche Nato-Kommandeur Egon Ramms Einschätzung entgegen. Der Vier-Sterne-General klingt deutlicher nüchterner: „In vier oder fünf Jahren können wir realistisch mit sichtbaren Fortschritten rechnen.“ – wenn man den Berufssoldaten überhaupt versteht: „Wir werden sicherlich 2011 mit der Phase vier unseres Operationsplanes, der „transition“, also der Übergabe der Sicherheitsverantwortung an die Afghanen beginnen. Erst wenn diese Phase, basierend auf erfüllten Bedingungen, weitgehend abgeschlossen ist, kann die Phase fünf, das „redeployment“, also der Abzug der Soldaten ins Visier genommen werden.“ Er halte „das Reden über Abzugsdaten“ für gefährlich – es gebe „Informationen“ an die Aufständischen – „ob Taliban oder dem Haqqani-Terrornetzwerk“- „wie es um den psychischen Zustand in unserer Bevölkerung bestellt“ sei.
Auch Nato-Chef Rasmussen meldete sich sogleich als unverstanden (zit. hier, Koppnachrichten). Er hätte doch bereits vor der Konferenz am Dienstag klargemacht, dass die Nato nicht beabsichtige, aus Afghanistan abzuziehen und stattdessen zunehmende Verluste unter den Alliierten angekündigt.
So versteht es auch Hintergrund.de am 22. Juli: „Nachdem am vergangenen Dienstag auf der Afghanistan-Konferenz vereinbart wurde, bis zum Jahr 2014 die Verantwortung für die Sicherheit im Land an die afghanischen Polizei und Armee zu übergeben, ist in der Öffentlichkeit der Eindruck entstanden, dies sei mit einem Abzug der westlichen Besatzungstruppen verbunden. ()Um dem Eindruck entgegenzuwirken, dass eine habe mit dem anderen zu tun, korrigierten Regierungsvertreter (der BRD, Anm. d. Verf.) eilig und stellten klar, die Vereinbarung sei nicht mit einem Abzug der westlichen Truppen verbunden. „Ja zu mehr Eigenverantwortung für die Afghanen, Nein zu einem schnellen Ende des Bundeswehr-Einsatzes: Die Bundesregierung will sich weiterhin nicht auf einen Abzugstermin festlegen“, teilte dpa heute mit. Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg warnte, es wäre „verheerend und dumm“, ein Enddatum für die deutschen Truppen zu nennen.“
Auch nicht in unserem Sinne – so aber auch der „stellvertretende UN-Sondergesandter für Afghanistan“, Martin Kobler, in einem Interview bei Deutschlandfunk am 21. Juli, und auch der „Wissenschaftler“ (Stiftung Wissenschaft und Politik) Markus Kaim beklagt hauptsächlich die allgemeine Kriegsmüdigkeit und rät zu langfristiger Betrachtung eines Abzugs. (hören – lesen)
Und auch „der Co-Direktor des Expertennetzwerks Afghanistan Analysts Network, Thomas Ruttig, im Gespräch mit MDR INFO.“: Die Sicherheitskräfte im Land seien „bei weitem noch nicht auf diesem Stand, dass sie alle diese Aufgaben allein übernehmen können“, sagte er. Das werde auch in vier Jahren nicht zu schaffen sein.
Was soll die Bundeswehr die ganze Zeit in Afghanistan? Die Brunnen müssten fertig sein? Neun Jahre ist sie nun schon dort!
Die Mohnfelder des CIA vor Anschlägen durch fundamentalistische Drogengegner schützen! Hin und wieder die Leichen für die Kisten mit dem schwarzrotgelben Fahnentuch liefern für das desinteressierte Publikum zur Illustration des lebensfeindlichen Vorlands deutscher Freiheit – die Angehörigen der gefallenen deutschen Soldaten mögen mir diese scheinbare Herzlosigkeit verzeihen – läuft ja nicht bei diesem Volk. Das bei jeder Leiche spätestens plärrt: „Was machen wir denn ü b e r h a u p t dort?“ Die Bundeswehr stellt das Selbstmordkontingent, das unseren Parteibonzen das fette Maulaufreißen an den großen Runden Tischen der Weltaufteiler ermöglicht. Sie riskieren ihr Leben für eine Freiheit Deutschlands, die ihnen nicht nur nicht zugute kommen wird. Sie befördert auch weitere Zwänge und Verbindlichkeiten, die dann wiederum unter Waffen und weiterem Menschenmaterial abgeleistet werden.
Am Abend des Konferenztages beschäftigt auch den Deutschlandfunk diese Frage (hören):
„“Aufbauen und den Aufbau schützen“ – so lautet zwar noch immer offiziell die Kernaufgabe der ISAF, doch was im Zelt der Sicherungsgruppe besprochen wird, gleicht weniger einer zivilen militärischen Hilfsaktion. Es gleicht eher einem Kriegseinsatz in feindlichen Gelände.
Holger – sein Name lautet in der Realität anders und auch seine Stimme haben wir verfremdet – war in Afghanistan in einer Sicherungsgruppe eingesetzt als Angehöriger der Division Spezielle Operation. Sehr schnell, erzählt er, habe er erlebt, wie weit Anspruch und Wirklichkeit des Einsatzes auseinanderklaffen: die Soldaten, die jetzt dort im Einsatz sind – gerade oben in Kundus – die gehen garantiert nicht mehr von einem Aufbau- und Stabilisierungseinsatz aus! Dort geht es nur noch um Verteidigung, man reagiert nur noch, man agiert nicht mehr. Stellenweise halt angeleitet durch die Amerikaner gibt es natürlich auch diese Aktionen, wo gezielt vorgegangen wird gegen die Taliban – in Anführungsstrichen.“ Kann das bedeuten, dass Führer der aufständischen gezielt getötet werden, fragt der Sender, und der ehemalige Soldat: „Wie ich gehört habe, werden ja gezielt auch Personen ausgeschaltet oder es wird wirklich Jagd gemacht auf Personen – es gibt da so eine Art „Liste“ – da wird auch die Bundeswehr dazu genutzt.“
In den Petersberger Beschlüssen“, erinnert Deutschlandfunk, „war im Dezember 2001 das weitere internationale – also auch das deutsche – Engagement an klare Ziele geknüpft worden: an den Aufbau einer Demokratie, eines Rechtsstaates, der Internationalen Standards genügen sollte. Zum Schutz dieses Aufbaus wurde 2002 die ISAF in Afghanistan stationiert – die International Security Assistance Force. Das ISAF-Mandat sieht vor, den nötigen Maßnahmen zu ergreifen, um: „Allen Afghanen zu erlauben, ihre unveräußerlichen Rechte und ihre Freiheit ohne Unterdrückung und Terror zu genießen.“
Als Mitte 2008 die Kämpfe im Süden immer heftiger wurden, und unter der us-geführten Operation Enduring Freedom – kurz OEF- immer mehr afghanische Zivilisten starben, begann die Unterstützung für den Afghanistan-Einsatz in der deutschen Bevölkerung zu bröckeln und – unter den Politikern der damals noch regierenden „großen Koalition“. Um einen Eklat zu vermeiden, trennte sich die Bundesregierung in Afghanistan von diesem offensiv angelegten OEF-Mandat: das Gute, das Aufbaumandat, sollte nicht durch das böse, das Kampfmandat, beschädigt werden() Heute räumen CDU-Politiker ein, dass der groß angekündigte OEF-Ausstieg ein innenpolitisches Manöver war, in erster Linie für die Öffentlichkeit und angelegt, die Kritiker des Afghanistan-Einsatzes mit ins Boot zu bekommen. Rupprecht Polenz, Vorsitzender des Auswärtigen Bundestagsausschusses: „diesen Schluss kann man, jedenfalls für einen Teil der Kollegen, ziehen, die, wie etwa die Grünen und auch Teile der SPD, sich immer vergleichsweise kritisch auch zur OEF-Mission geäußert haben. Ja.“
„Sollte also trotz der Ausstiegsankündigung die us-geführte, sehr offensive und verlustreiche Operation Enduring Freedom, dennoch weiterhin im von Deutschland geführten Regionalkommando stattfinden?“, fragt der Sender: „Ja, sicher.“ (Originalton Rupprecht Polenz)
Der Sender weiter: „Nachdem das Afghanistan-Mandat im Bundestag erfolgreich verlängert worden war, rückte die Bundesregierung allerdings seit Ende 2008 ohne viel Aufsehen von ihren selbstformulierten Zielen Schritt um Schritt wieder ab. Zuerst geopfert wurde der Anspruch, in Afghanistan eine Demokratie aufzubauen. () Auch das Argument einer zu schützenden afghanischen Kultur ist inzwischen immer seltener zu hören, immer häufiger jedoch die Forderung, das Wort Krieg zu akzeptieren und in Afghanistan zunächst die militärische Strategie der Aufstandsbekämpfung zu entfalten unter der Führung der darin erfahrenen US-Armee.
Die ist inzwischen drauf und dran, ihre vermeintlich erfolgreichen Konzepte aus dem Irak auf Afghanistan zu übertragen; mit dem Argument, die Taliban so besser zu bekämpfen, verbinden ihre Kommandeure sich mit, wie es im euphemistischen NATO-Jargon heißt, lokalen Power-Brookers – Strippenziehern der Macht, also.“
Das korrespondiert perfekt mit Angaben des ehemaligen ARD-Korrespondenten und Afghanistanreisenden Hörstel, der einen afghanischen ebensolchen Power-Brooker zitiert: „Alle drei Mächte (der Allierten: Canada, USA, Großbritanien, meine Anm.), jede einzelne, hat uns Emissäre geschickt und hat uns sehr viel Geld angeboten, wenn wir die jeweils anderen beiden Nato-Mächte angreifen.“
Weiter erzählt der ehemalige Korrespondent (der Sender ignorierte zunehmend seine Berichterstattung): „Meine Formel für das inoffizielle Vorgehen der USA heißt „Terrormanagement“: Die CIA weiß nicht nur, dass der ISI (der pakistanische Geheimdient, meine Anm.) die Taliban unterstützt. Sondern sie fördert das. Dies glauben übrigens auch die meisten Afghanen: dass die USA ihre Feinde nähren, damit sie nicht abziehen müssen.
() Wenn jetzt der zuständige Nato-Kommandeur wieder 20.000 Mann mehr fordert, ist das deshalb nicht mehr als ein Hustenbonbon.“ (alles hier)
Das war 2009, und die „Mann“ wurden erbracht.
Zurück zum Deutschlandfunk am Abend nach der Afghanistankonferenz am Dienstag, Stichwort „lokale Power-Brookers – Strippenzieher der Macht“: „Vorbild sind die Methoden der US Armee im Irak; durch Allianzen mit sunnitischen Stammeschefs gelang es dort 2006 und 2007 anscheinend, den Aufstand einzudämmen. Bei seinem ersten Treffen mit Präsident Karzai forderte General Petraeus, der neuernannte US-Befehlshaber in Afghanistan vor wenigen Tagen, dieses Milizenkonzept auf ganz Afghanistan zu übertragen.“ und zitiert den Sprecher der US Armee in Kabul: „Die Doktrin der Aufstandsbekämpfung lässt sich so ziemlich universell anwenden – mit einzelnen kleinen Abweichungen von einer gesellschaftlichen Gruppe zur anderen. Es gibt viele Lehren, die sich aus unserer Erfahrung im Irak auf Afghanistan übertragen lassen. Es gibt da eine Menge Ähnlichkeiten. Einer der Aspekte, die sich ebenso gut in Afghanistan anwenden lassen, ist das Programm, eine lokal verwurzelte Schutzmiliz zu bilden, mit der die Einwohner die Sicherheit ihrer eigenen Gouverneure und Einrichtungen gewährleisten.“
Und nicht nur in Afghanistan und Irak hat die USA diesbezüglich – der eigenen Politik dienliche Milizen zu gründen und damit eine ferngesteuerten Fuß in der Tür bei scheinbarem Abzug zu behalten – ihre guten Erfahrungen gemacht. Als kürzlich Haiti durch ein Erdbeben kurzzeitig in die Schlagzeilen kam, wurde vielen auch wieder klar, dass die Strassen des Staates von den selben nun von Obama und Clinton angeklagten Banditen beherrscht und terrorisiert sind, die die USA vor ihrem Abzug aus dem Land ausgebildet und als Bürgermiliz hinterlassen hatte (ein dänischer Doku-Film darüber, oder mehr über die unheilvolle Beziehung Haiti – USA?). Eine eigentümliche Nähe auch zur Enstehungsgeschichte der Taliban – einst finanziert und aufgerüstet in amerikanischem Interesse.
2011 – die ersten drei, vier Provinzen, das entscheide „sich“ Ende August. Sie müssen dafür Kriterien erfüllen – und sicher auch einhalten. 2014, mag so mancher Berufssoldat dort nun hoffen. Vier Jahre der Furcht, des Ausgeliefertseins unter einen fremden, undurchsichtigen Herren und zunehmender Gefahr für Leib und Leben. Im aufgeklärtem 21. Jahrhundert, wohlbemerkt. Ohne taugliche Technik, ohne ein völkerrechtlich geltendes Alibi. Gestern kam nun noch heraus, dass der Staat an der Unterkunfts- und Lebensmittelversorgung knausert
Da können vier, fünf Jahre zur Ewigkeit werden…
Und wer dann meint, das gequälte Land hätte es aber spätestens dann geschafft, der sei erinnert an die radioaktiven Verseuchung afghanischer Trinkwasserreservoirs, an den unausweichlich genetischen Schaden am afghanischem Volk – unbesehen der daraus notwendigen Pflegeaufwendungen – wegen der inflationär verschossenen Urans in schmutzigen, wirkungsvollen und überaus nachhaltigen Dosen. (dazu ein Doku-Film)
Und an die Destabilisierung von Demokratie und ethnienübergreifenden Vertrauen.
Afghanistan hatte die Amerikaner als Befreier – eine Sache, von der sich Deutschland bis auf den heutigen Tag nicht erholt hat.
Oder wird auch über Deutschland bereits so geredet?