Stuttgart, Stuttgart und kein Ende

In der Hoffnung, hier bereits vermisst worden zu sein und mit der Befürchtung, vermeintliche Stammleser zu verlieren, unterbreche ich kurz die hauptsächliche Beschäftigung der letzten drei Monate und wende mich meinem blog zu – freilich auch mit der Intention, über das Ausbleiben von Artikeln hier Rechenschaft abzulegen und das Interesse meiner Leser auf eben dieses Medium zu richten, dem ich im letzten Vierteljahr zugearbeitet habe.

Wie ich letztens in einem Artikel schrieb, interessierte mich das Geschehen um den Stuttgarter Hauptbahnhof. Das begann mit dem massiven Polizeieinsatz am 30. September 2010 gegen die Stuttgarter Bürger, die ihren Unwillen gegen das Projekt Stuttgart 21 ausdrücken wollten. In der Folge wurde ein Faktenschlichtungsausschuss einberufen, dessen acht Sitzungstage per Television öffentlich gemacht wurden – als „einmaliges, nie dagewesenes demokratisches Experiment in Deutschland“ mit Vorschusslorbeeren beschenkt, der Leser erinnert sich vielleicht noch: Je sieben Vertreter beider Lager – sowohl der Befürworter als auch der Gegner des Projekts Stuttgart 21 – sollten unter der Leitung von Heiner Geißler, dem „erfolgreichen“ Schlichter einstiger Tarifverhandlungen bei der Bahn – „alle Fakten auf den Tisch“ legen und diese „auf Augenhöhe“ gegeneinander abwägen.

Wenn vielleicht auch nie in der Illusion, dass dieser späte Versuch erster Demokratie nun direkt zu den Umwälzungen des Missverhältnis zwischen Bürger und Staat führen würden, und erst recht nicht in der Annahme, dass „die Schlichtung“ etwas anderes war als der Versuch der Finanz- und „Mandats“- Mächtigen, die revolutionären Wogen in Deutschland zu glätten, war mir die auf den Schwarzen Donnerstag folgende Beschäftigung mit den Hintergründen des Bahnhofumbaus Anlass genug, diesen ganztägigen Übertragungen aus dem Stuttgarter Rathaus zu folgen – die acht Tage Schlichtung, das sei hier sparsamst konstatiert, zeigten in noch erbärmlicherer Weise den Verlust des Mitbestimmungsrechts des Volkes und die Übernahme der Macht von finanz- und finanzpolitischer Gewalt auf.

Bei meinem Beschäftigung mit den Hintergründen stieß ich etwas später auf „Stuttgart-21-wikiwam“ – eine Internetseite, die, nach dem Muster „Wikipedia“, bestrebt ist, alle Informationen zu Stuttgart 21 zu sammeln. Dem Leser dort soll es bald möglich sein, unter diesem Wust von Informationen dezidiert auf bestimmte Themen zugreifen zu können.

Hier werden auch 1:1-Wortprotokolle der Schlichtungen – Mitschriften des dort Gesagtem – eingestellt, und bald soll der Leser mittels thematischer Links auch zu bestimmte Passagen der Schlichtung, thematischen Zusammenhängen – kurz: über ein Meer an ihn noch nicht erkennbarer Zusatzinformation und Desinformation sicher von Insel der Erkenntnis zu Insel der Erkenntnis gelots werden, und sich dabei allmählich einen Gesamteindruck verschaffen können – acht Tage Schlichtung – über 70 Stunden reine Zeit – Sie ahnen es, auch mit Ihrem Wissen um die Akteure dort – ein zäher Sumpf, in dem der Orientierungswillige schnell steckenbleibt!
Dabei ist die Schlichtung, und gerade wegen ihrer Öffentlichkeit, ein guter Indiz für die, ich möchte es so nennen, Refeudalisierung des politischen Systems – neben ihrer Funktion freilich, auch noch in 10 Jahren ein verfügbares und beweiseerbringendes Dokument zu sein, wenn es auf die Bewertung der Früchte ankommen sollte, die mit der Umgestaltung des Bahnhofs in Stuttgart – unter Erbringung gewaltiger öffentlicher Gelder in einer als krisenähnlich zu bezeichnenden Zeit – einst versprochen worden.

Gar nicht kleingeredet werden soll die Schlichtung als Beweislast für die, die nun, nachdem sich die „Gewinnerseite“ nicht einmal an die minimalisten, wenngleich indiskutabel unzureichenden „Vereinbarungen“ hält, die nach der Schlichtung als Auflagen für den Weiterbau kursierten und unter dem schönen Namen S-21-plus die Gemüter besänftigten, wieder zum Mittel der öffentlichen Auflehnung greifen (am. 8. Februar zeigte Stuttgart mit der 62. Montagsdemonstration gegen Stuttgart 21 (video) das Ende seiner kurzen politischen Winterruhe an – s. dazu Richtigstellung unten!)).

So hab ich mich also in vergangener Zeit hauptsächlich dem „ersten deutschen Demokratie-Experiment“ gewidmet – Textprotokolle von den Schlichtungen geschrieben, wikiwam erfreut beim Wachsen zugesehen und einen gewissen Anteil daran zu haben.

Zur Erforschung der Wahrheit bedarf es notwendig der Methode – so zitiert einer der Betreiber dort den Philosophen Descartes.

Nun wollte ich also Ihr Augenmerk auf dieses Portal lenken – seien Sie an Mitarbeit interessiert oder an Informationen über S 21.

Link zu Stuttgart-21-wikiwam

RICHTIGSTELLUNG: 22. 2. 2011, 6:00 – Soeben lese ich auf  der Seite der „Parkschützer“, die Demo am 8. 2. war keineswegs, wie von mir behauptet, die erste dieses Jahr. Bereits am 10. Januar gab es  – die 58. – Montagsdemonstration gegen S 21 – und somit auch nicht die von mir behauptete Winterruhe.

Kopiert bei parkschuetzer.de:

  • Antonio Landsberger am Freitag, 07. Januar 2011, 13:42 Uhr

    Bei der ersten Montagsdemo im neuen Jahr – der 58. Montagsdemo gegen Stuttgart 21 am 10.01.2011 um 18 Uhr
    auf dem Arnulf-Klett-Platz (direkt vor dem Hauptbahnhof) sprechen Dr. Brigitte Dahlbender (BUND), der Regisseur
    Volker Lösch und die kultige Frau Kächele. Für heiße Musik sorgt das Frimfram Collective:
    Thorsten Krill (Schlagzeug), Jo Ambros (Gitarre), Ekkehard Rössle (Saxophon) und Veit Hübner (Bass).

    Die Moderation übernehmen die grünen Stadträtinnen Thekla Walker und Anna Deparnay-Grunenberg.

    Die Rede- und Musikbeiträge der vergangenen Montagsdemos können Sie auf der Seite www.kopfbahnhof-21.de
    unter der Rubrik Nachlese auf der Startseite anhören bzw. anschauen.

    Rückfragen an: Gangolf Stocker (Leben in Stuttgart), fon 0172/95 00 948
    Gerhard Pfeifer (BUND), fon 0711/61970-40
    Irmela Neipp-Gereke (Grüne), fon 0174/2041288

    Dem Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 gehören an:

    Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V.
    Bündnis 90 / Die Grünen
    Die Linke
    Gewerkschafter gegen Stuttgart 21
    Leben in Stuttgart – Kein Stuttgart 21 e.V.
    Parkschützer
    PRO BAHN e.V.
    SÖS
    Stiftung Architekturforum Baden Württemberg
    Verkehrsclub Deutschland e.V.

Zitat Ende

Update: Jutta Ditfurth über die Rolle der Grünen bei S 21 – Auszüge ihres Buches als Vorabdruck bei „Junge Welt“

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