– Blödeln über eine in die Jahre gekommene Verschwörung
Aus einer Schnapsidee war schnell Programm geworden. Der Spiegel (30. 6. 2003) berichtete darüber, ein Vierteljahrhundert später; wie es anfing: „Die Stimmung auf dem Nachtflug VA 930 von Caracas nach Santiago de Chile ist gereizt. Während unten die schneebedeckten Gipfel der Anden vorbeiziehen, diskutieren an Bord () zwölf junge Deutsche. () Die Delegation der Jungen Union (JU) ist sauer auf ihren Vorsitzenden. Drei Tage lang hat Matthias Wissmann sie in Venezuela von morgens um sieben bis spät in die Nacht von einem Empfang zum nächsten gehetzt. „Wir wollen endlich etwas vom Land sehen“ (). Beschwingt vom Whisky, verfasst die Gruppe ein Manifest, gekrakelt auf einen Briefbogen der venezolanischen Fluggesellschaft Viasa. „In Sorge um die hochkarätig besetzte Delegation und zum Schutze der Gesundheit schließen wir uns hiermit zum Pacto Andino Segundo zusammen.“;
und wie es weiterging – mit dem Trotzbündniss der einstigen politischen Greenhorns; am Beispiel des Arbeitsaufkommen des nun „Generalsekretärs des Andenpaktes“, Bernd Huck, „Wirtschaftsanwalt in Braunschweig“: („Dort nennen sie ihn nur „Sir Huck“, weil er sich wie ein Lord kleidet und perfekt Englisch spricht.“) „Bei ihm laufen alle Fäden der Loge zusammen. Er hat den Stift geführt, als sich der Pakt vor 24 Jahren sein Gründungsmanifest schrieb. Bis heute hütet er das Dokument in einem Ordner in seinem Büro. Er organisiert die geheimen Zusammenkünfte. Er sondiert, wann die Mitglieder Zeit haben, legt Termine fest und verschickt die Einladungen. Sie tragen den Briefkopf: PACTO ANDINO, El secretario General.() Es ist nicht leicht, Generalsekretär eines konspirativen Bundes zu sein. Zum Beispiel muss Huck die Treffpunkte so wählen, dass es nicht auffällt, wenn ein Dutzend schwarzer Limousinen vorfährt. Mal treffen sich die Herren auf dem abgelegenen Bauernhof eines Paktmitglieds in Lührsbockel in der Lüneburger Heide, mal auf einer eigens gecharterten Barkasse auf dem Rhein, „für die wirklich vertraulichen Gespräche“, wie Huck in seinen Einladungen zu schreiben pflegt. () Die Sitzungen des Paktes eröffnet Huck mit einem Satz aus dem Manifest: „Die Lage ist da.““
Der Leser von heute, sieben Jahre später, reibt sich die Augen: Assoziationen zum bekanntgewordener Gebahren anderer Geheimbünde – „Logen“: den „Bilderbergern“, der „Trilaterale Kommission“, „Skull and Bones“, der Mafia?
Schließlich war die Rede – da schon, 2003 – nicht von Schattengestalten am politischen Spielfeldrand: „Um ihn (den Generalsekretär, meine Anm.) herum sitzt dann die Nomenklatura der Nach-Kohl-CDU: Koch, Wulff, Müller, Wissmann, Parteivize Christoph Böhr, 49, der baden-württembergische Fraktionschef Günther Oettinger, 49, der außenpolitische Fraktionssprecher Friedbert Pflüger, 48, der Vorsitzende der EVP-Fraktion im EU-Parlament, Hans-Gert Pöttering, der hessische CDU-Fraktionschef Franz Josef Jung, 54, der hessische Innenminister Volker Bouffier“. Später wird wohl noch Merz dazukommen und Ole von Beust seine Mitgliedschaft immer abstreiten, bereits aber über die zitierte Runde versichert Spiegel seinen Lesern: „Vereinbarungen, die hier getroffen werden, haben Bestand. Egal, ob es um einen Präsidiumsplatz oder die Frage geht, wer nächster Kanzlerkandidat werden soll: Ist sich der Andenpakt einig, ist gegen ihn in der CDU keine Entscheidung möglich.“
Was mag der Leser vor sieben Jahren gedacht haben, mit solcherart Enthüllungen über seine politischen Willensvertreter konfrontiert?
Dass es mehr ein Spaß ist, den man nicht ernstnehmen muss in einem Land, das vor Demokratiestärke nichtmal richtig laufen kann?
Immerhin aber konnte er nun wissen: (Spiegel, ebenda) „Die Mitglieder des Andenpaktes sind untereinander so loyal, dass schon mal einer für den anderen den Kopf hinhält. Das Gründungsmitglied Franz Josef Jung zum Beispiel. Er war Stellvertreter von JU-Chef Wissmann und holte Roland Koch in den Geheimbund. () Im Herbst 2000 geht es für Jung um die Frage, ob er seine Karriere für das politische Überleben seines Andenfreundes Koch riskieren will. Koch steht bereits mit dem Rücken zur Wand, als die Medien am 3. September 2000 von einer Großspende über 50 000 Mark berichten, die unter der Verantwortung des Ministerpräsidenten und CDU-Landesvorsitzenden verdunkelt worden sei.
Auch Jung wird in den Zusammenhang mit Finanzmanipulationen gebracht.
Die hessische FDP-Landesvorsitzende Ruth Wagner signalisiert Koch, dass die christlich-liberale Koalition ohne Opfer nicht zu halten ist.
Das Opfer soll Jung sein. „Wenn ich helfen kann, will ich helfen“, sagt Jung bei einer Besprechung mit Koch. Am 7. September tritt er zurück.
Zweieinhalb Jahre später wird Roland Koch mit absoluter Mehrheit als Ministerpräsident in Hessen bestätigt – und Franz Josef Jung feiert ein Comeback als Vorsitzender der Landtagsfraktion.“
Oder weiter: „Wulff ist eher liberal, Koch stramm konservativ. In der Frage, ob die Türkei der EU beitreten soll, konnte der Pakt keinen Konsens finden. Auch das Thema Zuwanderung ist umstritten. Die Verbundenheit reicht zudem nicht so weit, dass alle Mitglieder Koch automatisch in seinem Wunsch nach der Kanzlerkandidatur unterstützen. Bei einer so wichtigen Frage guckt jeder, wo seine eigenen Interessen liegen. Auch Wulff traut sich das Amt des Bundeskanzlers zu. Gleichwohl sind die Ähnlichkeiten in der Biografie und im Lebensgefühl ein starker Kitt. Gegen Koch würde Wulff nicht antreten.“
Oder den: „Koch weiß, dass er sich Alleingänge im Bundesrat leisten kann. Zwar genießt er als Mitglied des Andenpaktes auch keine Narrenfreiheit. Aber seine Freunde würden ihn nicht öffentlich desavouieren. Auch dank dieses Bündnisses genießt Koch in der CDU Heimrecht.“
Auch hier: „Als der saarländische Ministerpräsident Peter Müller, der im Andenpakt Gaststatus genießt, vor drei Jahren für das Amt des stellvertretenden Parteivorsitzenden kandidieren wollte, redeten seine Paktfreunde ihm dies aus. Müller war bereits kraft seines Amtes Mitglied des Präsidiums, und der Pakt wollte die Wiederwahl seines Mitglieds Christian Wulff nicht gefährden.“
Dass das unter Parteigenossen eben so Sitte sei?
Das allein konnte es auch nicht sein: „Angela Merkel trifft zum ersten Mal den Pacto Andino“, versichert Spiegel: „Es ist schon dunkel, als die frischgewählte Unionsfraktionsvorsitzende am Sonntag, dem 20. Oktober 2002, vor der Zentrale des Fernsehsenders Sat.1 in Berlin aus ihrem Dienstwagen steigt. Jürgen Doetz, der Geschäftsführer des Senders und Mitglied des Andenpaktes, nimmt sie in Empfang. Sie gehen in den vierten Stock. Dort warten bereits die anderen Männer. Merkel bekommt einen Platz neben Generalsekretär Huck. Die Stimmung ist bemüht locker. ()
Eigentlich haben die Paktbrüder nicht vorgehabt, die Parteichefin je einzuladen.
Schon dass Wulff Merkel die Existenz des geheimen Zirkels verriet, hat viele Mitglieder verärgert…“
„Aus dem Andenpakt ist eine mächtige Seilschaft innerhalb der CDU geworden. Über die Jahre sind neue Mitglieder dazugestoßen und haben wichtige Positionen erobert“, fand Spiegel 2003 und sah da noch schwarz für Merkels politische Zukunft im Kraftfeld diese „Männerbundes“.
Der ehemalige Bundesarbeits- und Sozialminister Norbert Blüm (CDU)erzählte dem Cicero: „Mehr Abkapslung als beim Andenpakt habe ich bei keiner anderen Vereinigungen erlebt.“.
Zugegeben wurde seine Existenz ja nie. Nicht hierzulande – der großen Welt waren die Andenpaktler beliebte Gäste: „Einmal im Jahr bittet Huck zu einer Auslandsreise, im internen Jargon „Maßnahme“ genannt. In Jerusalem trafen die CDU-Freunde einst Staatspräsident Eser Weizman und in Paris Jacques Chirac, damals noch Bürgermeister der französischen Hauptstadt. In diesem Jahr luden sie sich in Madrid beim spanischen Premier José María Aznar zum Abendessen ein.“ (Spiegel, 30. 6. 2003). Anfang 2008 hieß es dann auch hier,mit dem Andenpakt ginge es nun zuende.
Wohl ist diese Hoffnung seit dem Bekanntwerden des Rücktritts von Koch wieder vom Tisch. Am 27. 5. 2010 weiß Handelsblatt von einem: „jüngste(n) Treffen dieses legendären Geheimbundes renommierter CDU-Politiker(). Bei Tapas, Rotwein und Bier beriet die Männerrunde über Pfingsten im sonnigen Barcelona nicht nur über den Rücktritt von Hessens Ministerpräsident Roland Koch, man sprach auch über „die Orientierungslosigkeit der Bundesregierung“ und die „Zukunft der Partei“. In der CDU-Zentrale hätten die Alarmglocken ob dieser Nachricht geschrillt, weiß Handelsblatt: „Was plant der Andenpakt? Soll Parteichefin Angela Merkel aus dem Amt gedrängt werden?“ Und konstatiert: „Nun ist Christian Wulff der einzige Hoffnungsträger der Männerrunde“.
Wie meinte das allwissende Magazin noch 2003: „Ist sich der Andenpakt einig, ist gegen ihn in der CDU keine Entscheidung möglich.“?
In nur kurzer Zeit: Öttinger – nach Brüssel „abgeschoben“? Jung – „über den Krieg gestolpert“? Beust (der vielleicht nie Anden-Paktierer war) – den Tribut ans Altern gezollt? Koch – die Machtgelüste vergangen? Alle plötzlich keine Eier mehr zu Politik, Macht, Bestimmen? Letzter Hoffnungsträger, Wulff – der Merkel einst den Andenpakt entdeckte – von ihr nun ins politische Nirvana entsorgt? Merkel, die staasiverstrickte, moskaustudierte, DDR-weichgekochte Frau mit dem „angelernten politischen Wissen“ (Spiegel) den ganzen 30 Jahre alten Machtzirkel weggebissen?
Politisches Nirvana sagt nur, wer über die wirkliche Machtfülle des „Bundespräsidenten“ – des Obersten Deutschen Amtsträgers immerhin – im Unklaren ist! Der Bundespräsident kann den Bundestag auflösen, den Bundeskanzler ernennen und entlassen, und er benötigt dazu lediglich ein Bundesminister, den er verpflichten kann, die Geschäfte bis zur Ernennung seines Nachfolgers weiterzuführen.
Ein Andenpaktler rückt heute vom langjähriger Innenminister eines Andenpaktlers zum Minister-Präsidenten von Hessen auf.
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ergänzend:
„Cicero“ über den Andenpakt: „Der mächtigste Geheimbund der deutschen Politik“ – sehr lesenswert!
Wikipedia zu Andenpakt: „Als Mitglieder des Andenpaktes wurden im Spiegel in einer Infografik 17 Personen benannt, andere wurden im Artikeltext und von anderen Medien mit dem Pakt in Verbindung gebracht. Zu den im Spiegel-Artikel benannten Personen zählen: Roland Koch, Christian Wulff, Friedbert Pflüger, Christoph Böhr, Matthias Wissmann, Günther Oettinger, Franz Josef Jung, Peter Jacoby, Volker Bouffier, Kurt Lauk, Elmar Brok, Hans-Gert Pöttering, Wulf Schönbohm, Jürgen Doetz, Bernd Huck, Helmut Aurenz, Heinrich Haasis. Generalsekretär des Bundes sei Bernd Huck. Darüber hinaus wurden weitere Personen, z.B. Peter Müller und Friedrich Merz[2] in Verbindung mit dem Pakt genannt. Weiter führt der Spiegel-Artikel aus, dass Frauen im Andenpakt „nichts verloren“ hätten, von Ostdeutschen trenne die Mitglieder die andere politische Biografie.“
Ebenda (Wikipedia) über einen weiteren Bund: „Seit dem Jahr 2007 sind mehrmals Artikel über eine „Einstein-Connection“ einiger junger CDU-Politiker in Anlehnung an den Andenpakt und an den Treffpunkt, das Café Einstein in Berlin, veröffentlicht worden. Dieser Gruppe, die sich gegründet hat, damit konservative Thesen innerhalb der CDU mehr Beachtung finden, sollen der Bundesvorsitzende der Jungen Union Philipp Mißfelder, der ehemalige Generalsekretär der nordrhein-westfälischen CDU Hendrik Wüst, Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan Mappus und der bayrische Staatsminister für Umwelt und Gesundheit, Markus Söder angehören.“